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Category: History

Gedanken über Sri Lanka zum Unabhängigkeitstag
Vortrag von Lankananda Perera anlässlich der Unabhängigkeitstagsfeier
der Sri Lanka Association in Berlin am 17.02.2002

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Sri Lankas erster Premier Minister unterschreibt die Unabhängigkeitsurkunde

Sri Lanka Association in Berlin begeht dieses Jahr die Unabhängig-keitstag Sri Lankas zum ersten Mal in feierlicher Atmosphäre. In den Jahren zuvor haben wir ausschließlich Vortrags- und Diskussionsrunden veranstaltet und die Nachunabhängigkeitsgeschichte Sri Lankas kritisch durchleuchtet. Als der neue Präsident des Vereins, Herr Gaya Pathirana, mir die Entscheidung über eine feierliche Veranstaltung vermittelte und mich bat einen kleinen Vortrag zu präsentieren, war ich über beide Ideen nicht begeistert. Einerseits halte ich die gegenwärtige politische Situation Sri Lankas behaftet unter anderem auch mit Nachunabhängigkeits-problemen für nicht gerade zum Feiern Anlass geben, anderseits wusste ich nicht genau welche Botschaft ich Ihnen heute vermitteln sollte.

In früheren Podiumsdiskussionen des Vereins haben wir Fragen wie „Was ist Unabhängigkeit? Wann wurden wir vollständig unabhängig? Welche Probleme hat ein Land welches fast 450 Jahre von unterschiedlichen Kolonialmächten beherrscht wurde und erst gut 50 Jahre unabhängig ist?“ Oder Fragen wie „welche Lösungen gibt es für das gegenwärtige ethnische Problem Sri Lankas?“ ausführlich diskutiert. Ich möchte heute über Erscheinungen im Übergangsprozess von der Abhängigkeit zur tatsächlichen Unabhängigkeit sprechen und verstärkt auf die Veränderungen der politischen Kultur des Landes eingehen.

Den Anstoß zu dieser Überlegung gab ein Büchlein mit dem Vortrag des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, Lakshman Kadirgamar, anlässlich des 150. Geburtsjubiläums von Sir Ramanathan Ponnambalam, welches mir die Botschaft Sri Lankas in Berlin zugeschickt hatte. Das Büchlein mit dem Titel „Sir Ramanathan Ponnambalam Gedenkvortrag 1994“ ist ein wertvoller Beitrag, um die sterbende politische Kultur Sri Lankas wiedereinmal in Erinnerung zu rufen und Gedanken über Ursachen und Wirkung des Kulturwandels zu machen. Meine Gedanken stehen dabei in keiner Weise im Widerspruch zu der von mir angenommenen Absicht des Redners, einen Beitrag zur Verfestigung der Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen Sri Lankas zu leisten.

In seiner Rede geht der Ex-Außenminister verstärkt auf Zitate zeitgenössischer politischen Führer ein, um Sir Ramanathan Ponnambalam aus der Sicht seiner politischen Freuende und Feinde beschreiben zu können. Zum Beispiel nennt Sri Lankas erster Premier Minister D. S. Senanayake ihn „den größten Ceylonese aller Zeiten“, andere wie Anagarika Dharmapala oder C. W. W. Kannangara loben seinen Einsatz für Sri Lanka und insbesondere für die Singhalesen während der Kolonialzeit. Sir Ramanathan Ponnambalam hat nicht nur den Vesak-Feiertag für die Buddhisten erkämpft sondern war auch maßgeblich an der Befreiung der inhaftierten singhalesischen Führer ( wie zum Beispiel D. S. Senanayake) nach den Unruhen 1915 (Sinhala-Muslim-Riots) beteiligt.

Wenn wir diese oder andere Biografien damaliger Führer lesen oder den Unabhängigkeitskampf oder die politische Geschichte Sri Lankas in den ersten 25 Jahren nach der Unabhängigkeit betrachten, wird uns die Tatsache deutlich sichtbar, dass sich die politische Kultur Sri Lankas in den letzten 25 Jahren grundlegend verändert hat.

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Unanhängigkeitsfeier am 04.02.1948

Die Führer der Unabhängigkeitsbewegung sind über politischen und ethnischen Grenzen hinweg gegen die Kolonialherrschaft weitestgehend zusammen marschiert. Die Reden von D. S. Senanayake oder Ramanathan Ponnambalam haben nicht nur ein anderes politisches Niveau als die heutigen Parlamentsdebatten, sondern waren auch von einer ganz anderen Umgangsart untereinander geprägt. Nach der Unabhängigkeit war Sri Lanka eines ersten Staaten Asiens, die das freie und gleiche Wahlrecht für alle Bürger eingeführte hat. Kurz nach der Unabhängigkeit konnten die Sri Lankaner das politische System zu einem Musterbeispiel für die parlamentarische Demokratie weiterentwickeln. Laut UNDP-Berechnungen (United Nations Development Programme) lag der Index für die menschliche Entwicklung in Sri Lanka weit höher als die meisten Entwicklungsländer der Welt.
– Die allgemeine Lebenserwartung eines Neugeborenen ist 1948 von unter 60 Jahren auf heute ca. 73 Jahren gestiegen
– Die Alphabeten-Rate ist damals von unter 50% auf über 90% gestiegen und liegt sogar 0,5% über Portugal und fast 40% über Indien
– Die Schulbesuchsrate liegt mit 66% über Luxemburg 58% oder Indien 56%

Wie hat sich die Wirtschaft in dieser Zeit entwickelt?
– Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, dass das UNDP seinem Index zu Grunde legt, wird in Kaufkraftparitäts-Dollar (purchasing power parity dollars- PPP$) gemessen- im Gegensatz zum
Bruttosozialprodukt pro Kopf zumeist bewertet mit der offiziellen Währung. Danach ergibt sich für Sri Lanka 3277 PPP$, weit weniger als Staaten, die in der menschlichen Entwicklung hinter Sri Lanka rangieren (z. B. Ägypten 3846 PPP$).
– In den 50 Jahren nach der Unabhängigkeit ist die Wirtschaft Sri Lankas um durchschnittlich 4,2% gewachsen. Das Prokopf-Einkommen ist von 1948 120 USD bzw. 396 Rs auf heute 815 USD bzw. 48015 Rs 1998 nominal gestiegen. Die höchsten Wachstumsraten wurden in Sri Lanka in den Jahren zwischen 1978 und 1996 realisiert. Die Arbeitslosenzahl lag 1948 bei 12% und liegt nach offiziellen Angeben (Central Bank Report) auch heute knapp bei 12% nach dem die Spitze im Jahre 1973 von 24% überwunden wurde.
– Die gerechte Verteilung des erreichten Wohlstands ist ein wesentliches Instrument für die Weiterentwicklung eines Landes. Die Einkommensverteilung in Sri Lanka sieht nach Central Bank- Angaben wie folgt aus:
Für diese Berechnung wird die Bevölkerung in 3 Gruppen unterteilt und das vom BIP als %-Anteil erhaltene Einkommen berechnet als Ausgabeneinheiten berücksichtigt.
– Einkommensgruppe 1948-1953 1996-1998
– 40% Armen 14,5% 15,3%
– 40% Mittelklasse 31,7% 34,8%
– 20% Reichen 53,8% 49,9%
Die Veränderung der Einkommensverteilung ist zwar in der richtigen Richtung, jedoch nicht ausreichend um von einer entwickelten Gesellschaft zu sprechen.
Die staatliche Verschuldung ist als prozentualer Anteil des BIP (gemessen zu jeweiligen Marktpreisen) von 18% 1948 auf ca. 100% 1998 gestiegen. In absoluten Zahlen von ca. 1.150.000.000 Rs auf 800.000.000.000 Rs gewachsen. Zum Vergleich beträgt die staatliche Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit bei rund 59% des BIP. Gemäß dem Maastrichtervertrag darf die staatliche Verschuldung in einem EU Land nicht höher als 60% des BIP sein.
Die Ersparnisse der privaten Haushalte sind 1948 14% des BIP (gemessen zu jeweiligen Marktpreisen) lediglich auf ca. 16% des BIP im Jahre 1998 gestiegen. Hatten die Sri Lankaner 1948
1.000.000.000 Rs auf der hohen Kante, ist dieser Betrag heute auf 128.000.000.000 Rs gestiegen.
Anhand dieser wenigen Daten können wir belastbar feststellen, dass die menschliche Entwicklung in Sri Lanka der wirtschaftlichen Entwicklung vorangeeilt hat. Eine solche Entwicklung ist selten, weil die menschliche Entwicklung meistens mit dem wirtschaftlichen Fortschritt einhergeht (wie bei den Industrie Ländern) oder weit hinterher hinkt und nur langsam folgt wie in vielen arabischen Ölstaaten. In der früheren Industriegesellschaft haben Wirtschaftswissenschaftler sogar einen Rückstand in der menschlichen Entwicklung für den wirtschaftlichen Erfolg als notwendig gehalten. Heute in der modernen Dienstleistungsgesellschaft gilt die hohe soziale Entwicklung als eine gesunde Basis für den wirtschaftlichen Fortschritt.

Nun zurück zu der politischen Situation. Im Gegensatz zu der durchaus positiven menschlichen Entwicklung sehen wir in der politischen Kultur einen unfassbaren Rückschritt. Die einst Musterdemokratie hat durch zweifelhafte Aktionen der letzten 20 Jahre einiges an Ansehen weltweit eingebüßt. Der JVP- Aufstand 1971 sowie der seit 1983 andauernde Krieg zwischen den LTTE-Terroristen und der Regierung haben die Gesellschaft für Mord und Kriminalität unsensible gemacht. Das Bildungsniveau der Politiker ist seit der Unabhängigkeit gesunken, dafür aber die Korruption in der Politik drastisch gestiegen. Was sind die Gründe für diese Veränderungen?
Die politische Kultur Sri Lankas war vom Beginn der Unabhängigkeit bis zur Machtübernahme J. R. Jayawardenas von einer Atmosphäre des Haus of Lords geprägt. Diese politische Macht ging nach der Unabhängigkeit an die singhalesische und tamilische Elite über, die Nachfahren der Briten, die sich immer Mühe gaben, sich genauso wie die Briten zu artikulieren, zu kleiden und zu speisen. Innerhalb dieser Schicht existierte kaum Disharmonie zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen betreffend den wesentlichen politischen Fragen. Sie waren sich damals einig, dass sie wohl gegen die „ damals am weitesten entwickelten Arbeiterbewegung der Welt“ (WSWS 15.06.2000) Einigkeit beweisen muss.

Die Politiker der konservativen singhalesischen und tamilischen Parteien (außer 2 tamilische Abgeordnete) waren bei der Entmündigung der Plantagenarbeiter im Jahre 1949 einig. Widerstand kam nur von den Gewerkschaften und den links orientierten Parteien, deren Mitgliedschaft zu 95% aus Singhalesen bestand. Mit den stimmen der parteilosen Tamilen wurden die tamilischen Plantagenarbeiter für „staatenlos“ erklärt und ein Jahr später mit den Stimmen der konservativen singhalesisch-tamilischen Koalition auch das Wahlrecht, die sie bisher genossen hatten, aberkannt. Im Selbstbestimmungsrat (Council of the elective people in the legislative council) gab es häufig Govigama-Vellala-Bündnisse. Zum Beipiel wurde 1912 der Vallal-Tamilie P. Ramanathan gegen den Karave- Singhalesen Marcus Fernando trotz einer singhalesischen Mehrheit im Rat gewählt.

Die vorstehenden Ausführungen sollen klar stellen, dass in der damaligen politischen Führung Sri Lankas die ethnischen Unterschiede nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Titel, Rangordnung, Kaste oder Kontostand wirkten wesentlich polarisierender als Rasse, Religion oder sprachkulturelle Zugehörigkeit.. Die unterschiedlichen Sprachen hatten in dieser Gesellschaft keine teilende Wirkung, weil die Herren in der Führungsschicht fast ausschließlich in Englisch kommunizierten und einige von Ihnen gar nicht ihrer Muttersprache mächtig waren.
Wie bereits eingangs erwähnt, waren Veränderungen in der genannten politischen Kultur, die sich auch in der Gesellschaft widerspiegelte, erst nach dem Wahlsieg J. R. Jayawardenas im Jahr 1977 richtig spürbar. Einerseits strukturierte J. R. Jayawardena, der die Führung der Partei UNP zum ersten Mal vom Senanayake-Clan übernahm und somit das Image der Uncle Nephew Party (Sinhala: Unge Nadainge Pakshaya) beendete, die UNP zu einer breiten Volkspartei um. Anderseits führte seine bedingungslose Öffnung der Wirtschaft dazu, dass sich eine wirklich neue Schicht von Wohlhabenden nicht zum gehobenen Bürgertum gehörenden Geschäftsleute entstanden und sie ihre politischen Forderungen zu artikulieren begann. Vorwiegend versammelten sie sich um den damaligen Premier Minister, R. Premadasa, der auch nicht dem gehoben Bürgertum angehörte. Die Verbindung zum Kapital gab ihm auch das notwendige Gegengewicht an Macht auch während seiner gemeinsamen Herrschaft mit J. R. Jayawardena.

Der in diesem Vortrag beschriebene 1977 eingeleitete Prozess der Veränderung der politischen Kultur in Sri Lanka ist mit der Machtübernahme von R. Premadasa im Jahr 1989 vollendet. Seither bekam die politische Führung Sri Lankas nicht nur einen neuen Gestalt, sondern auch eine neue Bedeutung. Das heißt, die Regierung Sri Lankas wurde dann von einem Querschnitt aus der Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert. Wenn man Demokratie als Herrschaft des Volkes definiert, wurde der Einzug der Demokratie in die sri lankanische Politik erst zu dieser Zeit vollendet. Überspitzt ausgedrückt heißt das, bis dahin wurde Sri Lanka von einer Oligarchie der gesellschaftlichen Elite des Landes regiert.

Betrachtet man aber die Nebenerrungenschaften der Demokratie westlicher Prägung, nämlich freie und faire Wahlen, Legalität, Freiheit der Meinungsäußerung u.s.w., haben diese in der Folgezeit ein Stück weit gelitten. Seither wurden einige Wahlen verschoben oder durch ein Referendum ersetzt und die Pressefreiheit zeitweilig eingeschränkt. Danach stellten wir die ersten politischen Morde in Sri Lanka fest und Korruptionsvorwürfe wurden täglich vermeldet. Sri Lanka nimmt seitdem in internationalen Statistiken in Sachen Selbstmordrate, Kriminalität und Sexualverbrechen Spitzenpositionen ein. Ein Beweis dafür, dass die Politiker nicht schlechter als die Gesellschaft sind, sondern lediglich einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen. Jede politische Führungsschicht die neu an die Macht eines Landes kommt, auch wenn die Revolution in Sri Lanka eher zufällige Charakterzüge zeigt und keines Falls eruptiv war, braucht Ihre Wurzeln in einer breitangelegten bürgerlichen Mittelschicht, wenn sie ein Land stabil und erfolgreich regieren soll. Diese Entwicklung dauert jedoch einige Jahrzehnte bis das richtige Politikbewusstsein, Demokratieverständnis und Rechtsauffassung in dieser Schicht eindringt. Meine Auffassung nach durchläuft Sri Lanka zur Zeit genau diese Phase.

Worauf müssen die Bürger und in unserem Fall die im Ausland lebenden Sri Lanka in dieser Phase besonders achten. Um darauf einzugehen möchte ich der Begriff „Demokratie“ etwas näher betrachten. Der Begriff „Demokratie“ (Volksherrschaft) stammt aus dem Griechischen und wurde damals für eine Staatsform verwendet, die mit dem heutigen Demokratieverständnis wenig verwandt ist. In den griechischen Stadtstaaten nahmen die Bürger in Volksversammlungen unmittelbar an der Machtausübung teil. Allerdings galt dieses Recht nur für wohlhabende und gebildete Männer. Diese Volksversammlungen fanden in der Regel am Marktplatz der jeweiligen Stadt. Diese Prinzip wurde bis zum Ende der 80er Jahre in der Schweiz in einigen Kantonen praktiziert.

Die wichtigsten Merkmale der heutigen Demokratie sind folgende: Ein souveränes Volk überträgt in verfassungsrechtlich festgehaltenen Perioden durch freie, gleiche und geheime Wahlen nach dem Mehrheitsprinzip vorübergehend die Staatsgewalt an Personen und politischen Parteien. Der Staat muss ein Rechtsstaat sein, der aufgrund von geschriebenem Gesetz und Recht dem Volk unter anderem
Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit garantiert. Es gilt das Prinzip der Gewaltenteilung. Die drei Hauptfunktionen des Staates Gesetzgebung (Parlament), vollziehende Gewalt (Regierung) und Rechtssprechung (Gerichte) müssen voneinander getrennt und unabhängig sein. Auf weitere Merkmale der Demokratie sowie auf die unterschiedlichen Ausprägungen des Systems kann im Rahmen dieses Vortrages nicht eingegangen werden.

Der ehemalige britische Premier Minister Winston Churchill sagte zur Demokratie: Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, wenn es keine anderen Staatsformen geben würde. Demokratie lebt von der Mitarbeit ihrer Bürger. Voraussetzung, um sich im politischen Leben zu engagieren , ist Wissen. Daher ist es eine wesentliche Aufgabe aller Sri Lankaner, Ihr Demokratieverständnis und Politikwissen dazu zu nutzen, um die demokratische Entwicklung in Sri Lanka kritisch zu begleiten und wo auch immer möglich zu unterstützen.
Die Unabhängigkeit, die wir vor 54 Jahren errungen haben, ist kaum etwas wert, wenn wir durch zu wenig Politikengagement die Vorzüge der Demokratie verlieren sollten